Heute, Mitte Oktober, liegt ein stilles Gewicht in der Luft. Der Morgennebel hält sich über den Feldern, als wolle er das Licht noch einen Moment zurückhalten. Und doch, irgendwo weit entfernt, lösen sich Schatten – die letzten Geiseln sind frei. Dieses Wort, frei, klingt fast zu hell für all das, was hinter ihnen liegt. Sie sind nicht unversehrt, nicht erlöst im vollen Sinn – aber sie leben. Und das allein ist schon eine Form von Wunder.
Manche Türen öffnen sich heute in Israel langsam, vorsichtig, als fürchteten sie, dass zu viel Freude den Schmerz vertreiben könnte. Mütter, Väter, Kinder, die sich wieder in die Arme fallen, zögernd, als müssten sie erst prüfen, ob dieser Augenblick wirklich real ist. Das Warten, das sich über zwei Jahre gedehnt hat, findet kein lautes Ende, sondern ein leises. Ein Zittern zwischen Atemzügen, ein Wiederfinden im Schweigen.
Ich denke an den Nebel über meinem Feld, wie er sich hebt, schwer und doch sanft. Vielleicht ist es dasselbe: eine Welt, die nach so viel Dunkel langsam wieder atmet. Keine Fanfaren, keine Siegesrufe – nur das zarte Geräusch von Leben, das zurückkehrt.
Und dann kommt die Trauer, ungerufen, aber treu. Für die, die nicht heimkehren, für das, was verloren ging und sich nicht zurückholen lässt. Ein Blatt fällt, irgendwo, lautlos. Der Herbst weiß, dass Abschied und Erlösung Geschwister sind.
Vielleicht ist das die Wahrheit dieses Tages: Erlösung ist kein Ende, sondern ein Übergang. Ein stilles, tastendes Hinübergehen vom Leid zur Möglichkeit. Heute Abend werden viele Menschen bei einer Tasse Tee sitzen, unfähig zu sprechen, aber mit einem Blick, der sagt: Du bist wieder hier. Und das genügt – für diesen Tag, für diesen Oktober, für einen winzigen Moment Menschlichkeit inmitten der Narben der Welt.